«ARGE sind kartellrechtlich unbedenklich»

Frank Stüssi, Stellvertretender Direktor der WEKO, zuständig für den Bau, erklärt im Gespräch, was Bauunternehmen kartellrechtlich beachten müssen.

 

Sie haben immer wieder betont, dass die Weko Arbeitsgemeinschaften grundsätzlich als un-problematisch betrachtet. Gilt diese Einschätzung weiterhin? Können Sie die Grundzüge auf eine einfach nachvollziehbare Art schilden, wann eine ARGE unproblematisch ist und im Gegenzug auch ein bis zwei Beispiele plastisch beschreiben, wann eine ARGE gegen das Kartellgesetz verstösst?

ARGE waren, sind und bleiben im Grundsatz kartellrechtlich unbedenklich. Meist begünstigen ARGE den Wettbewerb und ermöglichen Unternehmen, in Vergabeprozessen Offerten einzureichen. Dabei sind die Gründe für ARGE vielfältig: Beschaffungsprojekte erfordern teilweise Spezialitäten, die ein Unternehmen allein nicht aufweist. Oder Unternehmen verfügen allein nicht über genügend Ressourcen (Personal, Maschinen). ARGE können die Erfüllung finanzieller Garantien erlauben oder dienen der Kapazitäts- und Risikooptimierung. Teilweise er-lauben sie ein wirtschaftlicheres Angebot. All diese ARGE fördern den Wettbewerb und stel-len deshalb keine kartellrechtlichen Wettbewerbsabreden dar. Leider halten sich weiterhin gegenteilige Informationen, sogar aktuell in der Stellungnahme des SBV zur Kartellgesetzrevision. Fehlinformationen zu diesem Thema schaden, denn sie verunsichern Bauunternehmen und Beschaffungsstellen und gemäss meiner Erfahrung halten sie manche gar von der ARGE-Bildung ab.

ARGE sind dann bedenklich, wenn sie darauf abzielen, den Wettbewerb zu beschränken oder als Deckmantel für Kartelle zu dienen. Dazu zwei Beispiele: 1) Bildet ein Unternehmen mit seinem schärfsten Konkurrenten eine ARGE, nur um die Anzahl Offerten zu reduzieren und damit höhere Preise zu realisieren, wäre dies problematisch. 2) In der WEKO-Untersuchung «Elektroinstallationen Bern» etwa haben acht Unternehmen teilweise «Schein-ARGE» gebildet. In Tat und Wahrheit sprachen sich die Elektroinstallateure darüber ab, wer welchen öffentlichen oder privaten Auftrag zu welchem Preis gewinnen soll, und verteilten untereinander die Aufträge. Dies war unzulässig. Solche problematischen Konstellationen bilden im Verhält-nis zu den täglich gebildeten und unbedenklichen ARGE sehr seltene Ausnahmen.

 

Compliance ist ein grosses Thema in der Baubranche. Der SBV und Bauenschweiz haben verschiedene Massnahmen ergriffen, beispielsweise Merkblätter und eine e-Learning-Plattform. Wie beurteilen Sie die Bedeutung solcher Massnahmen?

Die Anstrengungen der Baubranche sind enorm wertvoll. Prävention und Sensibilisierung sind sehr wichtig und zielführend. Denn wer um problematisches Verhalten weiss, legt es in der Regel nicht an den Tag. Deshalb organisiert auch die WEKO seit vielen Jahren Sensibilisierungsveranstaltungen. Die Massnahmen der Baubranche sind meines Erachtens weiterzuverfolgen, denn leider kommt es da und dort weiterhin zu Submissionsabreden. So führt das WEKO-Sekretariat gegenwärtig drei Untersuchungen, die mögliche Submissionsabreden zum Gegenstand haben.

 

Wenn ein Unternehmen Compliance-Massnahmen durchführt – zum Beispiel einen Compliance-Verantwortlichen ernannt hat -, es aber dennoch gegen Gesetze verstösst: wirken sich die Massnahmen strafmildernd aus?

Eine Sanktionsminderung für aktive und effektive Compliance-Massnahmen ist möglich. Wichtig ist, dass ein Unternehmen seine Compliance-Massnahmen aktiv lebt und nicht für die Galerie erstellt oder irgendwo im Keller in einer staubigen Ecke aufhängt. Um ein Beispiel zu geben: Kann ein Unternehmen aufzeigen, dass es sich aktiv und eingehend gegen Wettbewerbsabreden einsetzte, Compliance-Massnahmen im Alltag lebte und dennoch ein einzelner Mitarbeiter oder eine einzelne Mitarbeiterin eigenständig gegen die Compliance-Regeln verstiess, ohne dass das Unternehmen das unterbinden konnte, würde die WEKO dies sanktionsmindernd berücksichtigen.

Auch hier gilt: Das Hauptziel und der grosse Nutzen von Compliance-Massnahmen ist die Prävention. Die Bauunternehmen und ihre Mitarbeitenden werden sensibilisiert. So werden Verstösse gegen das Kartellgesetz und damit auch WEKO-Verfahren und Sanktionen von Anfang an verhindert.

 

Das Parlament hat im letzten Jahr zwei Gesetzesvorstösse verabschiedet, die fordern, dass die Weko nachweisen, wie erheblich ein Schaden ist, der durch eine Absprache zwischen Unternehmen entstanden sein soll. Einer dieser Vorstösse (Motion Français) fordert hierfür neben qualitativen auch quantitative Kriterien. Wie ermitteln oder schätzen die Behörden einen allfälligen Schaden?

Die WEKO muss bereits heute qualitative und quantitative Kriterien prüfen. Für fünf Typen von besonders schädlichen, harten Abreden – wie Preis-, Gebiets- und Submissionsabreden – nehmen qualitative Kriterien eine wichtigere Bedeutung ein als quantitative Kriterien. So gilt die gesetzliche Vermutung, dass diese fünf Typen den Wettbewerb beeinträchtigen. Die quantitativen Kriterien spielen bei solchen harten Abreden zwar eine untergeordnete, aber doch in jedem Fall eine Rolle. So muss die WEKO z.B. immer aufzeigen, wie viele Marktteilnehmende an einer Abrede beteiligt waren, ob der Wettbewerb durch die Abrede überhaupt beseitigt oder beeinträchtigt wurde oder eben nicht, ob ein Gesetzesverstoss schwer oder leicht war. Die Ermittlung und Bezifferung des konkreten Schadens hingegen ist nicht eine kartellrechtliche Aufgabe. Der Schaden ist im Zivilprozess vor den kantonalen Gerichten aufzuzeigen, wenn Kartellopfer den durch das Kartell verursachten Schaden ersetzt haben wollen, nicht aber vor der WEKO.

Diese Prinzipien lassen sich an einem der zehn WEKO-Entscheide im Kanton Graubünden verdeutlichen: Im Fall «Bauleistungen Graubünden» zeigte die WEKO auf, dass 12 Bauunternehmen von 2004 bis 2010 rund 650 Bauprojekte absprachen. Die Unternehmen trafen sich wöchentlich oder monatlich an Zuteilungs- und Berechnungssitzungen, vereinbarten Zuteilungsquoten und bestimmten, welches Unternehmen ein Bauprojekt zu welchem Preis gewinnen soll. Für die Bestimmung der Preise wandten sie eine Mittelwertmethode an: Jedes Unternehmen rechnete zuerst die Offerte selber. Der Preis der «Gewinnerofferte» entsprach dann dem Mittelwert aller Angebotssummen. Damit ging automatisch eine Preiserhöhung einher. Es war ein Bauvolumen von mindestens 190 Millionen Franken betroffen. Erklärtes Ziel dieser Abreden waren die Verringerung des Konkurrenzdruckes sowie die Stabilisierung und Erhöhung der Preise. Mehrere Unternehmen gaben dies alles gegenüber der WEKO zu. Die WEKO prüfte qualitative und quantitative Kriterien und zeigte die Schädlichkeit dieser harten Abreden auf. Der Kanton Graubünden hat in der Folge mit mehreren Unternehmen Vergleichszahlungen für sich und 80 Gemeinden vereinbart.

Die WEKO muss in solchen Konstellationen wie im Kanton Graubünden nicht aufzeigen, ob die Preise infolge dieser Abrede z.B. um 15, 20 oder 50 Prozent gestiegen sind. Kein anderes modernes Kartellgesetz auf dieser Welt verlangt einen solchen Nachweis. Ausnahmsweise ist es zwar für einzelne Bauprojekte möglich, eine Preiserhöhung aufzuzeigen, aber in der Regel nicht. Hand aufs Herz: Wie wollen Sie nachweisen, welches der Zustand ohne Abrede wäre? Würde ernsthaft verlangt, die Preiserhöhung bzw. Schadensberechnung infolge Wettbewerbsabreden zu beziffern, hiesse dies klar, das Kartellgesetz und die Bekämpfung von schädlichen Abreden bewusst schwächen zu wollen. Das kann gemäss unserem Verständnis nicht die Absicht der Motion Français sein.

Letztlich ist es wichtig, dass die WEKO im Einzelfall aufzeigt, dass eine Kartellabrede schädlich war. Das genaue Ausmass des Schadens ist für die Unzulässigkeit von Abreden nicht entscheidend.

Bevor es zu einer Anklage gegen ein Unternehmen kommt, durchlaufen Sekretariat und Weko verschiedene Phasen – beispielsweise eine Vorprüfung, einer Hauptuntersuchungsphase und die Entscheidungsphase. Zu einem bestimmten Zeitpunkt während des Prozesses geben Sie die Namen der Unternehmen bekannt, gegen die Sie ermitteln, um potentiell weitere Geschädigte zu informieren.

 

Zu welchem Zeitpunkt genau erfolgt die Bekanntgabe und was wäre der vom Gesetz vorgegebene spätestmögliche Zeitpunkt? Denn das legitime Interesse des potentiell Geschädigten steht dem nicht minder legitimen Interesse des Angeklagten gegenüber, keinen Reputationsschaden davon zu tragen, wenn es denn unschuldig ist.

Das WEKO-Sekretariat erhält jedes Jahr mehrere Hundert Meldungen und Anzeigen von Bürgerinnen und Bürgern, der öffentlichen Hand, Unternehmen, Verbänden etc. Durchschnittlich münden diese Meldungen und Anzeigen jährlich in 80 bis 90 Verfahren. Rund 75 Prozent davon sind kleine informelle Marktbeobachtungen, etwa 18 Prozent mittelgrosse Verfahren («Vorabklärungen») und etwa 7 Prozent grössere Verfahren («Untersuchungen»). Die in Marktbeobachtungen und Vorabklärungen involvierten Unternehmen bleiben grundsätzlich anonym. Nur im Rahmen von Untersuchungen müssen die Namen der Unternehmen veröffentlicht werden. Das schreibt das Kartellgesetz explizit so vor. Weshalb wollte dies das Parlament? Damit potenziell Geschädigte und Betroffene rechtzeitig informiert sind, Vorsichtsmassnahmen treffen können und sich allenfalls an der Untersuchung beteiligen können. Es ist auch für die Geschädigten wie zum Beispiel Beschaffungsstellen wichtig, dass die Vorwürfe am Anfang des Verfahrens transparent auf den Tisch kommen.

Die WEKO ist sich des Risikos eines Reputationsschadens für die Unternehmen bewusst. Auch deshalb eröffnet sie nur dann Untersuchungen, wenn ausreichend Anhaltspunkte für einen Gesetzesverstoss gegeben sind, und betont gegenüber den Medien die Unschuldsvermutung.

 

Über den Autor

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Susanna Vanek

Redaktorin / Spezialistin Kommunikation

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